Was ist Digitalisierung – ein einfaches Modell… mit Konsequenzen

Von Anfang an wurde mit dem Begriff der Digitalisierung fahrlässig umgegangen. Wir verwechseln eine technische Möglichkeit mit dem, was Menschen daraus machen – und dem, was dabei tatsächlich an wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Dynamik herauskommt.

Ob in den 80ern „der Computer“, in den 90ern „das Internet“, in den 00ern „Social Media“ und nun in den 10ern endlich „die Digitalisierung“ selbst: Jedes Heils- und Schreckensszenario führt man darauf zurück, jeder Wandel soll dadurch verursacht sein, man heftet das Etikett allem an, was cool und zukunftsfähig klingen soll und nutzt es, um eigenes Scheitern auf eine höhere Macht zu schieben.

Das ist bequem, aber sinnlos.

Wenn wir uns unweigerlich mit Digitalisierung, ihren Chancen, Risiken und Konsequenzen beschäftigen müssen, brauchen wir eine nüchterne Definition, die einen unmittelbaren Rückbezug auf die Fakten hat, die uns hilft, Haltungen und Lösungen zu finden, und auf die wir uns einigen können. Holen wir den Hype auf die Erde zurück.


Was ist Digitalisierung?

All die Jahre, die ich mich in der „digitalen Welt“ bewege, haben mich zu einer Definition geführt, die geradezu beleidigend trivial ist – doch sie ist die, mit der zumindest ich am Besten arbeiten kann:

Digitalisierung bezeichnet die computergestützte Erhebung, Übermittlung uns Verarbeitung von Daten und deren Nutzung zur Qualifizierung und zur Automatisierung von Entscheidungen.

Dreieck der DigitalisierungA) Die Grundlage der Digitalisierung: Wir können immer mehr Daten immer schneller und günstiger erheben, transportieren und verarbeiten.

B) Wo menschliche Arbeit eine hohe Wertschöpfung bringt – d.h. in mehrdeutigen, wenig vorhersehbaren Situationen, in denen es auf Intuition, Empathie, Improvisationstalent ankommt – können diese Daten Menschen wesentlich schnellere und klarsichtigere Entscheidungen ermöglichen… die Maschine hilft, uns zu qualifizieren.

C) Wo die Wertschöpfung menschlicher Arbeit im Vergleich zum Einsatz gering ist – d.h. in gut standardisierbaren Situationen mit wenig Überraschungspotenzial, bei denen es mehr um Präzision als um Kreativität geht – können diese Daten genutzt werden, um Prozesse durch den direkten Datenaustausch zwischen Maschinen zu automatisieren.

Wie gestalte ich Digitalisierung?

Viel Lärm um nichts? Ich meine nicht, denn diese simple Sichtweise reicht aus meiner Sicht aus, um in jedem konkreten Fall ermitteln zu können, wo man steht, wo Chancen und Risiken liegen und wie man die einen ergreift und mit den anderen umgeht.

Es sind im Grunde nur vier Fragen:

1.) Welche Daten stehen uns entlang unserer gesamten Prozesse zur Verfügung?

2.) Wie können wir sie nutzen, um Entscheidungen schneller und besser zu machen?

3.) Bei welchen dieser Entscheidungen bringt menschliche Arbeit nachhaltig höheren Mehrwert als die einer Maschine?

4.) Wie verzahnen wir menschliche und maschinelle Arbeit optimal miteinander?

Die Beziehungen zwischen diesen Fragen spannen die Konfliktfelder auf, mit denen sich Unternehmen beschäftigen müssen. Zwei Beispiele:

Zum einen gelangt man heute beinahe kostenlos an Daten, daraus aber effizient Erkenntnisse zu gewinnen ist trotz der Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz primär die Stärke von Menschen – wer eine gründliche Auseinandersetzung mit Frage 2 überspringt, bindet immer höhere Mitarbeiterkapazitäten mit Datananalysen und Reportings, deren Ertrag ungewiss bleibt… siehe „per Anhalter durch die Galaxis“: nur wer die Frage kennt, kann in angemessener Zeit eine Antwort erwarten, die ihn weiterbringt.

Zum anderen ist es ein gewagtes Spiel, Frage 4 unter den Tisch fallen zu lassen und die Automatisierung unter reinen Effizienz-Gesichtspunkten voranzutreiben: Wird Arbeit immer stärker an Maschinen delegiert, ohne für menschliche Beobachter volle Transparenz und ein gewisses Maß an Kontrolle herzustellen, ist das Risiko hoch – in einer „Black Box“ können sich kleine Fehler über längere Zeit unbemerkt aufschaukeln, bis der Schaden groß ist… und die Ursachenfindung unter Umständen länger dauert als ein kompletter Neuaufbau. Zudem führt eine blinde Abhängigkeit von Software und Maschinen ihre Nutzer in eine äußerst ungünstige Verhandlungsposition gegenüber den Herstellern.

Nicht zuletzt können die Fragen 3 und 4 auch deshalb nicht am Reißbrett (oder am Rechner) beantwortet werden, weil berechenbare Merkmale nicht das ganze Bild zeigen: etliche Tätigkeiten lassen sich nur begrenzt automatisieren, obwohl es technisch geht, weil psychologische Aspekte hereinspielen. Geht es um soziale Beziehungen und um starke Gefühle, können nur menschliche Ansprechpartner ein ausreichendes Maß an Verbindlichkeit schaffen… wer glücklich oder wütend ist, wer bei Ihnen eine Menge Geld lassen oder seine berufliche Zukunft planen will, möchte selbst dann nicht mit einem Bot sprechen, wenn dieser den Turing-Test besteht. Findet er heraus, dass er sein Herz einer Maschine ausgeschüttet hat, fühlt er sich abgewertet.


Wohin führt Digitalisierung?

Das Potenzial dieses Denkmodells bleibt aus meiner Sicht nicht dabei stehen, pragmatisch den unmittelbaren Wandel zu wuppen. Mit dem Gerüst der vier Fragen können wir auch gezielt nach vorne blicken und die möglichen Konsequenzen von Digitalisierung abklopfen:

Digitalisierung zwischen Mensch und MaschineI.   Wenn wir immer weiter gehen in der Erhebung und Verarbeitung von Daten – wie ändert sich dann unser Miteinander in Markt und Gesellschaft? Das ist nicht nur eine moralische Frage, sondern auch eine wirtschaftliche: Wenn Sie mit den Daten, die Ihr Produkt im Betrieb erhebt, mehr verdienen, als mit dem Verkaufspreis… wird noch ein Kunde bereit sein, es zu kaufen, oder müssen Sie es ihm vermieten oder gar schenken? Wem gehören diese Daten, die aus seiner Nutzung Ihres Produktes entstehen, überhaupt? Werden Sie sich die Gewinne mit ihm teilen müssen? Und wenn ein Wissensvorsprung im Grunde nur noch daraus entstehen kann, die Daten vieler Dritter zu etwas Neuem zusammenzuführen – gibt es dann noch Patente, wie wir sie kennen?

II.  Welche Möglichkeiten bieten sich für unsere Wirtschaft und Gesellschaft – und ganz konkret für jede einzelne Funktion in Ihrem Betrieb, jede Nische in Ihrer Branche – wenn Menschen aufgrund von Daten wesentlich schneller lernen und erkennen? Welche Prozesse können, und müssen sogar, an dieses höhere Tempo, dieses größere Potenzial angepasst werden… von Bildung bis Politik, von Handel bis Controlling?

III. Wenn Arbeit, bei der Menschen gegenüber Maschinen geringere Wertschöpfung erbringen, zunehmend automatisiert wird – was bedeutet das für die Menschen, die diese Arbeiten zuvor verrichtet haben… und was bedeutet es für die Basis der Wertschöpfung insgesamt, wenn der Mensch zunehmend zum reinen Entscheider und Veredler im Wirtschaftsprozess wird, während mehr und mehr operative Arbeit ohne ihn abläuft? Für unsere Arbeitszeit? Unser Steuerrecht und die Verteilung des Sozialprodukts?

IV. Wo werden die Reservate rein menschlicher Arbeiten liegen, die aus Gründen der Akzeptanz, der Ethik oder schlichtweg der Machbarkeit auch auf lange Sicht nicht Computern und sonstigen Maschinen überlassen werden – selbst da, wo sie womöglich einfach und standardisiert sind? Was sind die Treiber für das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine und wie weit wird sich diese Grenze verrücken lassen? Nicht zuletzt: Werden die Seelsorgerinnen, Masseure und Leibwächter von morgen im Status über den Managern stehen, die von Software ersetzt wurden – oder werden sie die Zurückgelassenen sein, die noch 40 Stunden und mehr arbeiten müssen, während die „Wegdigitalisierten“ von den Dividenden der Maschinen leben?


Sie sehen: ein einfacher Ansatz muss nicht banal sein… im Gegensatz – ich meine, nur ein einfaches Modell schafft Klarheit, um die schwierigen Fragen strukturiert und zielgerichtet anzugehen.
Doch was meinen Sie? Ich bin – sehr – gespannt auf Ihre Ideen dazu!

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