Sind Sie das ganze Gerede von Digitalisierung nicht auch leid? Lassen Sie uns deshalb mal nicht über Technik sprechen, nicht über Hypes und Symptome, sondern hinter die Kulissen blicken. Was tut sich da eigentlich?
Unsere Wirtschaft ist inzwischen weltweit so stark verwoben, dass Wechselwirkungen immer weniger vorhersehbar sind – insbesondere, da Alle um endliche Ressourcen konkurrieren: Bodenschätze, Aufmerksamkeit, Mitarbeiter, Geld. So verändert die Handlung des Einen zunehmend die Handlungsmöglichkeiten des Anderen – ohne, dass man genau wissen könnte, wie. (Sie sind Naturwissenschaftler? Diskutieren wir über Entropie und den Schmetterlingseffekt! Sozialwissenschaftler? Setzen wir uns zu offenen vs. geschlossenen Systemen auseinander! Sie sind nichts dergleichen? Glück gehabt, der Kelch geht an Ihnen vorüber). Die Komplexität der globalen Wirtschaft wächst weiter – Gewissheit und Überschaubarkeit kommen nicht zurück.
Wir müssen also lernen, uns in einem Umfeld immer größerer Unwissenheit und überraschender Wendungen zu behaupten. Dazu müssen wir das Geschehen um uns herum besser mitbekommen, schneller auf Unvorhergesehenes reagieren – und, damit Agilität nicht in Anarchie oder Hektik umschlägt, unsere Ziele fester im Blick halten und sinnvolle Abläufe üben. Suche ich dafür ein Bild, lande ich stets bei der Seefahrt: Wir sind daran gewöhnt, auf festem Land Häuser zu errichten, die an diesem Ort die Zeit überdauern, doch sehen uns zunehmend von Ozean umgeben – hier zählt nicht das festeste Bollwerk, sondern das wendigste Schiff und gute Navigation. Wo sich kaum noch langfristig planen lässt, ändern sich die Regeln für Erfolg grundsätzlich.
Was tun Menschen, wenn sie unsicher sind? Sie suchen nach Informationen – und halten sich an einander fest. Genau das erleben wir heute:
Wir ziehen zum einen immer größere Mengen von Daten und Informationen heran, geben im Gegenzug immer mehr Daten preis – und entwickeln rasant Technik, die diese immer schneller verarbeitet, analysiert und verbreitet. Sie hilft uns, im Tohuwabohu Trends, Chancen und Risiken zu erkennen und schneller zu entscheiden. Und sie ermöglicht uns, Arbeiten an Computer zu delegieren, wo wir selbst nicht mehr schnell genug mitkommen. Digitalisierung ist ein Symptom, nicht die Ursache des Wandels.
Zum anderen waren alle Meldungen vom Siegeszug der Maschinen verfrüht. Ob online oder im „echten Leben“ – die Bedeutung von Beziehungen und persönlichem Vertrauen wächst. Statt auf Politiker, Unternehmen, Medien, Experten hört man wieder stärker auf Menschen, die man selbst kennt – zumindest aber als authentische Persönlichkeiten greifen kann. Auch – vielleicht sogar gerade – wenn es keine Profis sind.
Entweder-oder war gestern. Sowohl-als-auch ist heute. Wir brauchen schlaue Computer und Menschen mit Gespür. Mehr Analyse und schnellere Reaktion. Klarere Ziele und spontane Improvisation. Schlagkräftigere Prozesse und mehr Freiräume. Paradoxe? Vielleicht – aber wir müssen damit leben. Intelligente Digitalisierung hilft, die vermeintlichen Widersprüche zu meistern. Doch nur dort, wo sie von und für Menschen eingesetzt wird, die wissen, was sie wollen…und was sie daran haben, ein Mensch zu sein!