Content ist nicht König – aber ein Treiber der Transformation

Ist Content König?

 

„Content is king“, wird stets wieder aufs Neue verkündet, wenn es um zeitgemäßes Online-Marketing geht. Der Ruf ist verständlich: Wer bei Google punkten möchte, braucht genug themenrelevante Inhalte, der Rückzug des Journalismus überlässt das Feld der Unternehmenskommunikation und während die Durchschlagkraft klassischer Werbung sinkt, werden redaktionelle Formate wichtiger. Das Bild jedoch hinkt: wo ein König einsam an der Spitze steht, ist Content ungefähr so selten und herausragend wie ein Bakterium – jede Sekunde gehen über 5.000 Facebook-Posts, rund 7 Stunden YouTube-Videos und knapp 60 Blogartikel online, insgesamt wächst das Netz binnen eines solchen Wimpernschlags um 70 Terabyte.


Kunst war gestern – dem Bauarbeiter winkt kein Ruhm

Content ist damit weniger das „Salz des Internets“ als vielmehr sein Fundament. Wenn Sie an diesem Fundament mitbauen, leisten Sie Ihren Part… sicher ehrenwert, sofern die Qualität der „Bausteine“ stimmt, doch erinnert man sich beim Betrachten von Akropolis oder Eiffelturm an die einzelnen Bauarbeiter?

Wer kein Verlagshaus ist, das von jenem „Boutique Content“ lebt, für den die Leser von Handelsblatt oder New Yorker gerne zahlen, muss weg vom Fokus aufs „Werk“ – der einzelne redaktionelle Inhalt als etwas künstlerisch Wertvolles, das allein aufgrund seiner Qualitäten seinem Urheber Aufmerksamkeit und Ehre bringt, kann kaum noch durchdringen in einem Informationsmeer, das seine Größe alle 2 Jahre verdoppelt.


Content als Botenstoff – It’s The Function, Stupid

Erfolg hat, wer jede Eitelkeit begräbt und sich ganz an der Funktion orientiert: Content ist ein Botenstoff, nicht mehr und nicht weniger. Ein Botenstoff löst eine Reaktion im Körper aus, in dem er an einen Rezeptor andockt und dort ein klar definiertes Signal übermittelt.

Im Bezug auf Content bedeutet das: Wir müssen wissen, welche Reaktion wir auslösen wollen, welche „Rezeptoren“ wir dafür ansteuern müssen und welches Signal in diesem Zusammenhang das Richtige ist. Wer diese Fragen nicht adäquat beantwortet, kann nicht erwarten, mit seinen Inhalten durchzudringen – geschweige denn, die gewünschte Wirkung zu erzielen.

 

 

Sechs Schritte zum erfolgreichen Content

Mit diesem Verständnis sehen redaktionelle Prozesse deutlich anders aus als bisher:

Der funktionale Content-Prozess

1. Kommunikation ist keine Selbstbefriedigung: Definieren Sie ein klares, messbares Ziel, das sie beim Leser erreichen möchten. Das kann sein: „Ungestützte Zustimmung zur Botschaft X“, „Teilnahme an Event Y“ oder „Aufnahme unseres Produktes in sein Relevant Set“ – jedoch nicht lediglich „Wahrnehmung des Beitrags“ oder „Gefällt mir-Angabe“.

2. Sie sind weniger interessant, als Sie meinen: Die meisten Menschen beschäftigen sich wenig mit Unternehmen und Produkten, es sei denn, sie sind direkt im Auswahlprozess. Was für Sie ein wichtiges Projekt ist, ist in der Regel für 90 Prozent der Bevölkerung irrelevant. Wer sind die 10 Prozent, für die es womöglich eine Rolle spielen könnte?

3. Es gibt keine Relevanz ohne Kontext: Denken Sie beim Essen an Stuhlgang? Unterhalten Sie sich mit Ihrem Bäcker über Ihre Einkommenssteuer? Selbst wenn Ihr Thema für die Zielgruppe wertvoll sein kann – relevant wird er nur in bestimmten Zusammenhängen. Wie sehen diese aus? Wann, wozu und mit wem beschäftigt sich der Leser mit Ihrem Angebot?

4. Menschen benutzen das, was sie verstehen: Ihr Beitrag bringt Ihrem Leser einen Mehrwert, den er in seinem eigenen Umfeld konkret nutzen kann? Prima – wie machen Sie ihm das in den ersten 5-10 Sekunden klar? Nur wenn er begreift und schätzt, was er damit anfangen kann, merkt er sich den Absender.

5. Blamieren Sie sich nicht: Es würde mich überraschen, wenn Sie Ihre große Liebe siezen oder die Liebesbriefe ans Haus der künftigen Schwiegereltern sprayen. Verstehen Sie die Sprache Ihrer Zielgruppe und wofür sie welche Medien nutzt. Nichts ist ärgerlicher als der Typ, der eigentlich immer etwas Gutes beizutragen hat, aber nie den richtigen Ton trifft.

6. Es gibt für Alles einen richtigen Moment: Wenn Sie Ihrem Leser den Ball auf den 11-Meter-Punkt legen, nutzt ihm das nur etwas, wenn gerade ein Spiel stattfindet. Ob Sie seine Aufmerksamkeit gewinnen, hängt davon ab, ob Sie ihn in einem Moment ansprechen, in dem er dafür offen ist. Im Zeitalter von Big Data ist das kein Glücksspiel mehr.


Neue Kompetenzen, Führung und Tools sind gefragt

Ich möchte niemandem zu nahe treten – tue es aber hiermit trotzdem: So banal der skizzierte Prozess klingen mag, scheitern die meisten Pressesprecher und Online-Redakteure daran, ihn mit Leben zu füllen.

Redaktion geht heute andersDas liegt einerseits an alten Rollenbildern: der Schöngeist hat ausgedient, die Autorität des „Repräsentanten“ verwittert – gefragt sind uneitle Profis, die Ihr stilistisches und technisches Rüstzeug beherrschen, strategisch denken und ihre Zielgruppe mit echtem Interesse und hoher Empathie in den Mittelpunkt stellen. Nicht Wenige erleben das als narzisstische Kränkung.

Andererseits schafft ein Großteil der Führungskräfte nach wie vor nicht die passenden Rahmenbedingungen: den „Stopfgansprozess“, bei dem das Unternehmen seine Lieblingsbotschaften am Fließband in alle Kanäle drückt, ohne sich groß um Empfänger und Kontext zu kümmern, kann man trefflich durchregieren. Der funktionsorientierte Content-Prozess funktioniert dagegen nicht mit Jahresplänen und Befehlsempfängern in der Linie, sondern lebt von Flexibilität, datengetriebenen Entscheidungen und Mitarbeitern mit ausreichend Freiräumen, um auf ihre Intuition zu hören. Manch Chef sieht da seine Felle davonschwimmen.

Nicht zuletzt kommt der Redaktionserfolg nicht mehr ohne gute Daten-Tools und statistische Analysekompetenzen aus: Web- und Search Analytics, (Social) Media Monitoring, Umfragen und User-Ratings gehören heute zwingend in den Methodenkoffer – ein guter Redakteur muss ebenso Markt- und Wirkungsforscher sein… nicht auf dem Niveau eines Data Scientists, jedoch so weit, dass er überhaupt befähigt wird, die zentralen Fragen von Zielgruppe über Kontext bis passender Aufmachung zu beantworten und aus Erfolgen und Misserfolgen zu lernen.


König durch die Hintertür?

So betrachtet ist Content vielleicht doch King – jedoch ganz anders als oft behauptet: es gibt kaum eine Aufgabe in Kommunikation und Marketing, die die Transformation dieser Bereiche derart verdeutlicht. Wer eine wirklich gute Content-Organisation im oben umrissenen Sinn hat, musste dafür so weit umdenken und sich neu aufstellen, dass er für einen Großteil der Aufgaben gerüstet ist, die ihn in der weniger planbaren, daten- und beziehungsgetriebenen Welt von morgen erwarten.

 

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Womit dringen Sie gut durch, wo mag der Funke nicht überspringen… und was sind Ihre wichtigsten Schritte auf dem Weg in die Kundenperspektive? Ich freue mich auf den Austausch!

 

 

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